Es hängt natürlich auch davon ab, wie „mutig“ der jeweilige Hersteller ist. Die Japaner sind bei Auto und Motorrad dafür berüchtigt, dass sie in der Branche den mit Abstand höchsten Anteil an „alten“ sprich in Vorgängermodellen erprobten Bauteilen nehmen. Das muss man von „außen“ ja nicht sehen, führt aber zu dem offenkundigen „Fortschritt in Trippelschritten“, der die Japaner seit den 90ern einbremst, weil es mittlerweile auch der technisch unbedarfteste Kunde gemerkt hat, dass die legendäre Zuverlässigkeit dadurch kommt, dass er immer das gleiche alte und damit notgedrungen bewährte und zuverlässige Zeug untergejubelt bekommt. Das fällt seit Finanzkrise und Fukushima erst richtig auf, weil zwei der drei tragenden Säulen dieses Prinzips weggebrochen sind: Unweltdumping und Wechselkursdumping. Nur durch Lohndumping schaffen es offensichtlich auch die Japaner nicht mehr, ihren ewig alten Wein in neuen Schläuchen zu tarnen, obwohl sie als Anhängsel von Riesenkonzernen unendlich viel mehr Entwicklungsbudget als der klitzekleine (noch) Selbständige Hersteller HD haben.
Das andere Extrem ist BMW. Die gehen bei Neuerungen branchenweit am aggressivsten in die Vollen (und damit meine ich nicht eine simple Änderung der Zylinderkonfiguration, sondern sowas wie ABS, Einspritzung, Paralever, Telelever) und nehmen dafür eine endlose Liste an richtig gefährlichen Rückrufbedarfen in Kauf:
- am Antriebsflansch abbrechende Hinterräder
- Benzinpumpe kriegt in Rechtskurve keinen Sprit
- Gabelholme brechen aus oberer Gabelbrücke
- Umstellen auf Nasskupplung führt zu extremen Schaltschlägen
und zahlloses weiteres richtig gefährliches Zeug. Insofern wundert mich immer wenn hier über die vergleichsweise harmlosen HD-Baustellen gejammert wird.
Harley liegt für mich irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen. Man darf nicht vergessen, dass die wie sonst nur noch Triumph keinen Riesenkonzern im Rücken haben (deswegen hat Triumph auch richtig heftige Probleme mit Gussfehlern und damit Ölleckagen im Gehäuse der Twins und Ventilkollaps der kleinen Dreizylinder nach 25TKM). Also müssen die mit dem Risiko, das zwangsläufig von Neuerungen ausgeht, erheblich vorsichtiger umgehen. Nur ein solcher Hammer wie oben bei BMW hätte HD schon das Lebenslichtlein ausgeblasen. Deshalb hat der M8 z.B. den kompletten bewährten Triebstrang vom TC übernommen. Wie man bei der Umstellung auf Hydraulische Kupplungsbetätigung sieht, lauert schon hier der Teufel im Detail, wenn man mit diesem Standardtriebstrangkonzept von vor WKII plötzlich alleine auf weiter Flur ist und im Unterschied zu den Japanern bei niemanden, auch nicht der Konkurrenz, die Auswirkungen von solchen relativ kleinen Änderungen risikolos studieren kann. Die Japaner haben den ungleichachsigen Triebstrang mit waagrechter Gehäuseteilung und einem Ölhaushalt für alles und Seilzugkupplung in den Siebzigern zum Standard gemacht und - siehe oben - halten daran geradezu risikoscheu bis heute eisern fest. Deswegen wirst Du beim Japaner niemals eine Trockensumpfschmierung (außer die Einzylinder Ende der 70er bis in die 80er - eben auch mit senkrechter Gehäuseteilung - wurde daher als riskante Normabweichung wegrationalisiert ) oder Hydrostössel oder Paralever kriegen (einzige Ausnahme, weil Triebstrang wie BMW:die Gold Wing, die erste und letzte riskante Abweichung der Japaner von altbewährten Standard). Und - zugegeben - Hobda experimentiert immer mal wieder mit verschiedensten Technologien für Automatikgetriebe. Die haben aber soviel Modellreihen, dass sie das in einer Stückzahl-schwachen relativ risikolos probieren können, bevor sie das in Grosserien-Modellreihen übernehmen. Das können Harley, Triumph und auch BMW bei ihren wenigen Modellreihen nicht so machen.
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„I don‘t like valves that look like golf tees. Intake valves should be the size of trash can lids, and pistons should be the size of manhole covers“ (Jay Leno)
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