zum zitierten Beitrag
Zitat von bitSchleuder
@motorcycle boy super Info. Hast Du ggf. Auch ne Erklärung für die Vorzündungstabelle und der Winkelbeule in der Mitte bei höchster Drehzahl, bei den Default HD Tabellen? @DarkStar679 hat hier ja einen eher klassischen Verlauf angewendet.
Mathematisch kann ich natürlich nix dazu beisteuern, aber von der Logik her kann ich einem Zylinder mehr Frühzündung geben, wenn die Gesamtheit der Umstände dafür spricht, und weniger, wenn die Gesamtheit der Umstände dagegen spricht. Die einzelnen Umstände Können dabei durchaus auch gegeneinander „arbeiten“, je nachdem, welcher Verdichtungsdruck mit welcher Drehzahl und welcher Motortemperatur zusammenkommt. Das erzeugt dann mal mehr oder eben weniger Möglichkeit zur Frühzündung, die generell die Leistung steigert, solange der maximale Verbrennungsdruck noch bei 6 Grad nach OT zu liegen kommt. Später führt zu Druck- und damit Drehmomentverlust in den Auspuff (deswegen erzeugen die Fliehkraft-Zündungen so blaue Krümmer), weniger erhöht die Klingel- (Beschleunigen) bzw. Klopfgefahr (hohe Dauerdrehzahl). Im Prinzip entstehen diese unlogischen bis verwirrenden Kennfelder durch eine kunterbunte Mischung vom gleichgerichtetem oder entgegenwirkendem Zusammentreffen der folgenden Einflüsse:
- die Frühzündung muss mit der Drehzahl steigen
- der Verdichtungsdruck ist am größten bei voll geöffneter Drosselklappe. Der kann bei klassischen rein luftgekühlten Serienmotoren bis zu 60 bar haben gegenüber 20 bar bei Standgasstellung der Drosselklappe. Je geringer der Verdichtungsdruck ist, desto mehr Frühzündung brauche ich wegen der „schlechten Statistik“(siehe nächste Punkte) , bzw andersherum, je größer der Verdichtungsdruck ist, desto mehr muss ich zur Reduzierung der Klingelgefahr die Frühzündung reduzieren. Wenn ich so hohen Verdichtungsdruck erzeuge, dass ich gar keine Zündung mehr brauche, habe ich einen Dieselmotor gebaut
- [Das verursacht m.E. Deine „Winkelbeule“
] Der größte Verdichtungsdruck liegt bei voll geöffneter Drosselklappe bei der Drehzahl des maximalen Drehmoments an. Das maximale Drehmoment ist der Beweis dafür, denn der höchste Verdichtungsdruck führt statistisch die meisten Reaktionspartner zusammen, weil er ihnen die meiste Bewegungsenergie verpasst und die Wahrscheinlichkeit, dass sie zusammendotzen, damit am höchsten ist. (Man stelle sich das wie einen Billardtisch vor: niedriger Verdichtungsdruck = wenige Kugeln [Kohlenwasserstoff, Sauerstoff, Schwefel] liegen auf dem Tisch. Der Kolben ist der Billardstock. Bei wenigen Kugeln bringt er auch nur wenige pro Zeiteinheit zum Zusammentreffen = Reagieren, auch weil die teilweise ohne Kontakt aneinander vorbeizischen, bei vielen Kugeln (=hoher Verdichtungsdruck) bringt der Anstoß durch den Stock natürlich statistisch wahrscheinlich mehr Kugeln zum Zusammentreffen. Dummerweise liegen auch noch Stickstoffkugeln dazwischen, mit denen das Zusammentreffen zu keiner Reaktion führt [führen soll], was die Statistik nochmals verschlechtert. Heißt: bei wenigen Kugeln dauert die [Verbrennungs-] Zeit länger, bis die Kugeln sich endlich möglichst alle getroffen haben, und es muss früher gezündet werden, damit von dem eh schon geringeren Verbrennungsdruck nicht auch noch ein zu großer Teil durch den Auspuff abzischt statt den Kolben nach unten zu drücken)
- D.h. die vollständigste Verbrennung (= möglichst aller „Kugeln“ außer Stickstoff) führt zum höchsten Drehmoment und zum besten Abgas. Die Drehzahl des höchsten Drehmoments ergibt sich aus den dort anliegenden besten Strömungsverhältnissen, die durch eine für diese Drehzahlen angepasste Überschneidung nochmals verbessert wird (Auslass=>Einlass : der Abgasstrom erzeugt genug Unterdruck im Zylinder, um wie beim Zweitakter das einströmende Gas einzusaugen. Einlass=>Verdichtung: Das Gas strömt mit solcher Wucht ein, dass es durch den schon wieder hochkommenden Kolben noch vorverdichtet wird, wie ein „interner Kompressor“). All das funktioniert aber nur bei bestimmten Strömungsgeschwindigkeiten, die nur durch die Drehzahl des maximalen Drehmoments erzeugt werden. Je größer die Überschneidung, desto schmaler wird der Unschärfebereich um diese Drehzahl, wo die Strömungsgeschwindigkeiten noch ausreichend hoch sind. Der Extremfall ist der Zweitakter mit 100% Überschneidung, deswegen ist er so „unelastisch“. Die (optimale) Füllung durch (optimale) Strömungsgeschwindigkeit bei der jeweiligen (Optimalen) Drehzahl bei (voll) geöffneter Drosselklappe manifestiert sich in den (über 1 liegenden) VE-Werten in der VE-Tabelle. Hohe VE-Werte führen zu hohem Verdichtungsdruck, hoher Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens von Reaktionspartnern und damit einer sehr schnellen Verbrennung, und damit Reduktionsbedarf (!!!) der Frühzündung in Richtung Spätzündung. Im schlimmsten Fall der zu frühen Zündung wegen hohem Verdichtungsdruck wirkt der Verbrennungsdruck gegen den noch im Verdichtungstakt hochkommenden Kolben. Die vorauseilende Druckfront erreicht dadurch so hohe Werte, dass sie sich dieselähnlich von selbst entzündet, sodass dann zwei Druckfronten und Flammfronten aufeinander prallen, was die Druckspitzen erzeugt, die wir als Klingeln oder Klopfen hören.
- Unter und über dieser Drehzahl bestimmen eher die anderen genannten „Umstände“ den Frühzündungsbedarf. Über dieser Drehzahl werden die Öffnungszeiten der Ventile zu kurz, das verschlechtert die Füllung und reduziert damit den Verdichtungsdruck und erhöht den Frühzündungsbedarf. Unterhalb dieser Drehzahl bricht die Füllung und damit Verdichtungsdruck /das Drehmoment bei (großer) Überschneidung (besonders) ein, weil dann der im Verdichtungstakt hochkommende Kolben das nur mit geringer „Wucht“ einströmende Gas wieder in den Manifold zurück schiebt. Bei teilweise geöffneter Drosselklappe wird dieser Effekt natürlich nochmal gegenüber Nockenwellen ohne Überschneidung verschlimmert. Daher hat der TC in den Varianten ohne Überschneidung dort einen geringeren Drehmomenteinbruch wegen besserer Füllung (höheren VE-Werten) und damit höherem Verdichtungsdruck und hat weniger Frühzündungsbedarf als die TC-Versionen mit Überschneidung. Trotzdem hat er natürlich auch eine schlechtere Füllung (niedrigeren VE-Wert) als beim Drehmomentmaximum, weil der langsamer runtergehende Kolben die Strömungsgeschwindigkeit des einströmenden Gases und damit seine „Wucht“reduziert. Folge: die VE-Werte bei diesen Drehzahlen sind unter 1. Bei stillstehendem Motor hingegen ist der VE-Wert genau 1, weil das Gas bei geöffnetem Einlass unendlich viel Zeit hat, nachzuströmen, aber eben auch mit ganz geringer Strömungsgeschwindigkeit = ohne Wucht, sobald der Kolben das letztemal bei Abschalten der Zündung runtergegangen ist. Sobald der Motor läuft, sackt der VE-Wert wegen der stark begrenzten Einströmzeit aber nur geringer Wucht unter 1 und steigt erst mit steigender Drehzahl durch die steigende Strömungsgeschwindigkeit und damit Wucht des einströmenden Gases bis um Drehmomentmaximum über 1, um darüber wieder abzusinken, s.o. Das alles lässt sich aus der VE-Tabelle ziemlich gut ablesen: niedriger VE-Wert = schlechtere Füllung = frühere Zündung, hoher VE-Wert = bessere Füllung = spätere Zündung. Das ist aber nur einer von den hier aufgezählten Einflüssen!
- Die steigende Motortemperatur reduziert die Möglichkeit zur Frühzündung, weil das (zu) heisse Auslassventil wie eine Glühkerze wirkt, die es schafft die von der frühen Zündung ausgelöste, der Flammfront voreilende Druckfront zu entzünden, sodass wiederum zwei Druckfronten und Flammfronten aufeinander prallen. Das erzeugt dann die Druckspitzen, schlimmstenfalls bei entsprechend früher Zündung auf den noch im Verdichtungstakt hochkommenden Kolben, die zum Klingeln oder Klopfen führen . Beim klassischen Harley-Motor läuft der hintere Zylinderkopf erfahrungsgemäß rund 30 Grad wärmer als der vordere, also erzeugt dieser Einfluss wiederum einen Bedarf zur späteren Zündung, bei der die Druckfront das heisse Auslassventil erst erreicht, wenn der Kolben im Arbeitstakt schon wieder runtergeht und so Druckentlastung (mangelnde Zündwilligkeit) bewirkt, also ein dem nächsten Punkt entgegenwirkender (!) Einfluss:
- Warum der hintere Zylinder der HD-Twins mit gemeinsamen Manifold durch schlechtere Füllung (geringerer VE-Wert) und damit geringerem Verdichtungsdruck und letztendlich Verbrennungsdruck mehr Frühzündung braucht, habe ich oben schon geschrieben . Nochmals: Das ist nur einer von den hier aufgezählten Einflüssen, oben sind andere aufgezählt, die diesem wieder entgegenwirken.
- der für einen optimalen Drehmomentwert erforderliche AFR-Wert, sowie die Auswirkungen von geringeren oder höheren AFR-Werten ist mit der „Fischhakenkurve“ anschaulich dargestellt (bitte gugeln) . Dass ein magereres Gemisch (für Einhaltung des Abgasgrenzwerts), aber auch ein viel zu fettes Gemisch schlechter zündet und daher tendenziell mehr Frühzündung braucht, dürfte klar sein. Das Verbrennen des magereren Gemischs heizt aber auch das Auslassventil mehr auf, was späte Zündung zur Klingel/Klopfvermeidung erfordert, das (sehr) fette kühlt es durch Verdunstung von überschüssigem Benzin, was mehr Frühzündung erlaubt. Je nachdem wie stark sich diese Einflüsse widersprechen, zündet das Gemisch, ob zu mager (Lambda > 15) oder zu fett ( Lambda <12), irgendwann gar nicht mehr, auch weil die statistische Wahrscheinlichkeit zu gering wird, dass sich 2 Reaktionspartner zwischen all den überschüssigen Sauerstoffmolekülen (zu mager) oder CH-Molekülen (zu fett) treffen , was die Fischhakenkurve sehr anschaulich darstellt.
Du siehst sicher, dass diese unterschiedlichen, unabhängig voneinander mal gegenseitig verstärkenden, mal gegenseitig abschwächenden Einflüsse auf den richtigen Zündzeitpunkt unmöglich zu einer „gerade Linie“ wie in den Fliehkraft-gesteuerten Zündungen und auch nicht zu schön geschwungenen, stetig verlaufenden Zündzeitpunkt-Kurven in einem Kennfeld führen können. Alleine die über Drehzahl und Drosselklappenstellung wegen der Komplexität der Strömungsgesetze hin und her hüpfenden VE-Werte und unterschiedlichen Temperaturen lassen das nicht zu. Die dem Abgas geschuldeten AFR-Werte machen die Sache nicht besser. Die HD-Ingenieure müssen noch Verschlechternde Einschränkungen durch Abgasgrenzwerte (Gemische [AFR-Werte], Strömungsgeschwindigkeiten und Verbrennungsdruck) und Lärmgrenzwerte (Strömungsgeschwindigkeiten) berücksichtigen. Die nachträgliche Optimierung durch den Fachmann ist eigentlich nur durch Verletzungen dieser Grenzwerte zu erreichen, ob durch schärfere Steuerzeiten, fetteres Gemisch oder weniger (Verbrennungs-)Druckverlust in Ansaugtrakt und Abgasanlage.