zum zitierten Beitrag
Zitat von rudi_ufg
@motorcyle boy: das Kurbelgehäusevolumen befand er als ausreichend, aber die Abfolge der nächsten Schritte bis hin zum Transfer hat er bestätigt.
@mossomas: welche Pässe waren es damals? Derzeit liegt noch zu viel Schnee
Ich habe bisher nix gepostet, weil ich mal abwarten wollte, bis der erste Offizielle endlich nicht mehr schweigen kann. Na gut, dann wollen wir mal wie ein richtiger Techniker differenzieren, macht etwas Arbeit (auch ich bin faul), aber vielleicht wird es dann verständlich:
Solange die Kurbelwelle ins Gehäuse passt, ist das Gehäuseinnenvolumen so absolut gesehen natürlich nicht zu klein. Die Aufgabe ist dann halt, die Druckpulsationen eines Quasigleichläufers, hier mit ca 1800 ccm ausreichend über die Wellendichtungen abzudichten:
Foto 1: Die KFZ-Industrie wählt standardmäßig die billigste Lösung, einen Wellendichtring (WDR), der eigentlich nur drucklos Flüssigkeiten gegen rotierende Wellen abdichten soll und bei Zweitaktern und Zweizylinder-Gleichläufern eigentlich schon "mißbraucht" wird (eine typische Harley-Murkslösung). Den muß ich dann natürlich mit der Lippe zur Kurbelwelle hin einbauen, also nicht so wie in Foto 1, sondern so wie in ...
Foto 2: ... damit die Dichtlippe durch den Luftdruck der (fast) gleichzeitig runterkommenden Kolben fester auf die Welle gepresst wird, und ...
Foto 3: .. damit das linke Kurbelwellenlager geschmiert wird, ohne dass das Motoröl in den Primär spritzt (der Motor Öl verliert)
Foto 4: Genau so, mit der Dichtlippe in Richtung Kurbelwelle, ist die Einbaurichtung des WDR in der Zeichnung des Werkstatthandbuches auch dargestellt. Da es auf diesem Planeten nun mal keinen Zweitakter mit 1800 ccm und Kurbelgehäusevorverdichtung gibt, hat Harley mit diesem Hubraum wohl die rote Linie der technisch machbaren Druckschwankungen für WDR endgültig überschritten, dass heißt, sie finden keinen Lieferanten auf diesem Planeten für einen WDR, der bei dieser klassischen Einbaurichtung nicht nur ausreichend gegen Überdruck, sondern auch gegen Unterdruck beim fast gleichzeitigen Hochgehen der Kolben abdichtet.
Foto 5: Wenn das alles nix hilft, könnte Harley noch die clevere, weil kostengünstige und kaum mehr Platz verbrauchende Lösung von MZ übernehmen: Den WDR "falschrum" mit der Lippe nach aussen einbauen, die Lippe aber von aussen ABSTÜTZEN. Die Lagerschmierung muß dann natürlich aus dem Primär bzw. der NW-Kammer erfolgen. Ich würde wetten, dass Harley zum üblichen technischen Facelift 2024 rum diese Lösung übernimmt, falls sie ausreichende gegen den Unterdruck aus dem Kurbelgehäuse in den Primär abdichtet.
Foto 6: Wenn das allerdings auch nicht reichen sollte, ist im wortwörtlichen Sinn guter Rat teuer. Man könnte die in der akademischen Lehre für so eine Aufgabe eigentlich vorgesehene Gleitringdichtung nehmen, die aber viel komplexer aufgebaut, viel teurer ist und viel mehr Platzbedarf in Wellenrichtung hat. Halte ich persönlich für unwahrscheinlich, aber was bleibt für Harley noch möglich, wenn sie einen quasi industrieunüblichen 1,8 ltr. Zweizylinderquasigleichläufer mit separatem Kurbelgehäuse bauen. Dann können auch Detaillösungen wie WDR nicht mehr aus dem Katalog bestellt werden, sondern es braucht gleichfalls ungewöhnliche Lösungen für diese von Harley gestellte ungewöhnliche Aufgabe.
Foto 7: Das ist dieses große 1.-Gang-Zahnrad, das wirklich genau auf die Bohrung in der Hauptwelle ständig Öl fördert.
Wenn Harley das alles so nicht will, ja dann bleibt wirklich nur noch übrig, das Kurbelgehäuseinnenvolumen drastisch zu vergrössern. Was glaubt Ihr wohl, warum Yamahas 1900ccm V2 und Kawas 2000 ccm V2 solche Probleme nicht haben? Genau, sie haben nach ganz alter deutscher und damit 100% übernommener japanischer Schule Primär und Getriebe in das Kurbelgehäuseinnenvolumen integriert und damit den Unterdruck beim fast gleichzeitigen Hochgehen der Kolben drastisch unter die für WDR-Katalogware abdichtbare Druckdifferenz gedrückt.
Die Aussage "Das Kurbelgehäuseinnenvolumen ist zu klein /nicht zu klein" ist per se laienhaft, gebe ich zu. Die fachlich richtige Aussage ist: "Es muss so groß dimensioniert sein, dass mit einer der o.g. Abdichtungsmetoden vom Kurbelgehäuse Richtung Primär kein Unterdruck mehr wirkt. Für den Fall, dass diese Methoden nicht gewollt sind oder nicht ausreichen, muß das Kurbelgehäuseinnenvolumen vergrößert werden."
Das heißt jetzt ganz konkret für alle Interessenten:
- Finger weg von Neukäufen, insbesondere größer 107 cui, denn auch dieser Harley-Fix mit dem Gummischlauch hat kein BElüftungsventil
- Finger weg von Hubraumaufstockungen
- eine Harley-Neukonstruktion kann man erst nach dem ersten großen Facelift nach üblicherweise 7 Jahren kaufen, wenn man wenig Geld hat und jahrelang darauf sparen mußte
für alle Fahrer:
- beim Fix von Harley (Gummischlauch ohne BElüftungsventil) bei Bergauffahrten in den Alpen mit Rausdrücken von Primäröl aus dem Triebstrang rechnen. Die "Sauerei" wird verstärkt, wenn die Lima , wegen voller Batterie vom "Regler" kurzgeschlossen, wie ein elektrisches Heizöfchen im Primär wirkt
- bei Bergabfahrt mit Einsatz von Motorbremswirkung bei höheren Drehzahlen ohne Harley-Fix mit verstärktem Transfer rechnen
Gelle Websucht, all diese Parameter müßtest Du in eine Tabelle eintragen und dann für JEDEN Lastzustand der VE-Tabelle abfahren und durchmessen. Dann würden wir sehen, dass bei der Mehrzahl der Kästchen Transfer auftritt, aber bei einigen ("Pässefahrt bergauf") auch Primäröl durch überdruck rausgedrückt wird.
In eigener Sache:
Ich freue mich,
- wenn ich ein paar Leute davor bewahren konnte, diesen Murks zu kaufen, indem ich verdeutlichen konnte, dass es sich hier um einen grundsätzlichen, nicht so einfach ohne weitere Kompromisse (Sauerei bei Mossomas Pässefahrt) behebbaren Murks handelt.
- dass jetzt der erste Harley-Offizielle meinen Ansatz bestätigt. Die "Kapillartheorie" hat halt nie erklärt, wo ein so großer Unterdruck ursächlich erzeugt wird, der soviel Öl aus dem Getriebe absaugen kann. Dies nur mit der Druckdifferenz von Oberflächenspannungen von Öloberflächen in der Hauptwellenbohrung erklären zu wollen, reicht als "Pumpwirkung" m.E um Größenordnungen nicht aus. Die einzige Unterdruckquelle diesen Ausmasses bleibt halt der Aufwärtshub der beiden Kolben. Eine andere wird man an diesem Triebstrang nicht finden. Und das ist auch der Anspruch, den ich an eine Gegentheorie stelle: Wo sonst wird dieser Unterdruck erzeugt?
- natürlich NICHT, dass hier jetzt viele Harleyfans von der Company mal wieder verarscht wurden. Wer mir allerdings partout nicht glauben wollte und nach meiner Darstellung immer noch gekauft hat, hat aus meiner Sicht kein Mitleid verdient.
Hier im Forum wurde schon oft heiß diskutiert, was den "echten Harleyfahrer" ausmacht. Ich finde, es ist genau das: Trotz jahrzehntelanger schlechter Erfahrungen mit dem Geschäftsgebahren der Company zur Lösung technischer Probleme (solche Probleme selber haben auch andere, aber die gehen anders damit um) trotzdem zu dieser Marke zu stehen, weil man von ihren Produkten fasziniert ist.