Falls es jemanden interessiert, hier meine ersten Eindrücke mit der neuen Slim.
Zur Ausgangslage: Ich fahre seit mehr als 20 Jahren Harley. Zusammen mit meinen beiden Söhnen kauften wir etwa alle 2 Jahre eine neue Maschine; aus Prinzip nur Neufahrzeuge vom Freundlichen ("gebraucht" werden können sie bei uns selbst). Da wir es nie über's Herz gebracht haben, eine Moppette wieder zu veräußern, tummeln sich mittlerweile 10 Harleys bei uns, quer durch alle Baureihe, von Sportster bis CVO, und ALLE werden reihum regelmäßig bewegt. Ich erwähne das, nicht um auf "dicke Hose" zumachen, sondern um zu verdeutlichen, dass ich den direkten Vergleich zu früheren Maschinen habe.
Zu den Fahrleistungen der Slim muss ich nichts sagen, die sind für einen Cruiser dieser Kategorie absolut ausreichend, mehr bauch' ich nicht. Deshalb will ich mich auch bei den "weichen" Kriterien, den Emotionen aufhalten.
Nun zur Slim FLSL, 2021, Two Tone "RiverRock Gray Denim/Black Denim" (...auf so einen Namen muss man erst einmal kommen...)
1.Eindruck - macht einen wertigen Eindruck, geschuldet sicher der tollen Gabel mit den massigen Brücken und der, für meinen Geschmack, schönen Lackierung.
2.Eindruck - Wo ist das stylische Zündschloss auf der Tankkonsole? Weg! Stattdessen "Ignition ein" über den ehemaligen Killschalter. Tankabdeckung aus Kunstleder.
Die Seitenschalen - sollen wohl an den Ölhufeisentank erinnern - furchtbar. Über solche Attrappen hatten wir früher bei Nipponbikes gelästert - dahinter ließen sich Putzlappen verstauen.
Der Auspuff - potthässlich, ein abgeschnittenes Ofenrohr. Es ist mir schon klar, dass ein eleganter, schlanker Endschalldämpfer mit sanft konisch verlaufendem Ende, aufwendiger in der Herstellung ist. Aber so?
Der Seitenständer (ich hab's in einem anderen Fred schon mal moniert) ist vermutlich bei einem asiatischen Billigroller-Hersteller entliehen worden.
Beim Versuch, das Stromversorgungskabel für's Navi an die Batterie zuklemmen, hab' ich fast einen Tobsuchtsanfall bekommen, so was verbasteltes! Noch schlimmer wird es wohl, wenn die Zündkerzen rechts gewechselt werden müssen ...
Die seltsame Geometrie der Hinterradschwinge kaschiere ich links mit einer großen Solo-Ledertasche (Snebamse von Lejokulan), rechts hängt ja das Ofenrohr davor ...
Der spirillige Lenker mit dem komischen "Handtuchhalter" mutet (mir wenigstens) billig an, liegt aber ergonomisch gut gekröpft in der Hand. Nur ist er mir zu niedrig, weshalb er nächstens einem moderaten 1 1/4"- Ape weichen muss.
Und dann der Sound: Ohne dieses ständige, alles überlagernde Pfeifen oder Heulen aus dem Motor heraus wäre der Klang vielleicht gar nicht mal sooo schlecht - zumal bei den tollen etwa 850 Umdrehungen/Minute im Leerlauf. Der Freundliche meint, die M8 klingen alle so.
Da man nichts brauchbares hört und auch kaum Vibrationen spürt, muss man sich ständig mit einem Blick auf den Drehzahlmesser und die Ganganzeige vergewissern, in welchem Gang man eigentlich fährt ... nix "Popometer".
Der Tacho hat jetzt ein Kunststoffscheibe. Mal sehen, wann die zerkratzt ist. Von innen beschlagen ist sie aber schon mal, da bleibt sich Harley treu.
Vom Umbau einer 2012er Slim auf mitschwingenden Heckfender haben wir etliche Teile übrig. Da lag es nah, verschiedene Teile wie Soziussitz oder hintere Fußrasten oder Gepäckträger auf die Neue zu übernehmen - aber nix da, nichts passt mehr! Ein Schelm, der Arges dabei denkt ...
Über die Jahre "durfte" ich den schleichenden Qualitätsverfall - sei es Chrom, Lack, Schraubenmaterial, Plasikanteile, Glühbirnen usw. - verfolgen. Aber vor allem bei Motorbauteilen: Der Motor meiner Fatty von 1999 war noch nie auf und läuft,nach weit über 100000 Km, noch wie ein schweizer Uhrwerk! Eine viel spätere Dyna hatte schon mehr Macken. Und, wie gesagt, ich habe den direkten Vergleich in der Garage stehen- nichts von wegen leicht eingetrübte Erinnerungen oder dem Spruch "Früher war alles besser".
Dass der schlabbrige Kennzeichenhalter nicht ernst gemeint sein kann, ist ja wohl klar. Die Montagepunkte für was Anderes hat Harley ja dankenswerter Weise im Fender schon hinterlassen.
( Ok, die AMF-Ära ,mit ihren Problemen, habe ich selbst nun nicht durchlitten.)
Mir tuen Harley-Neueinsteiger ein bisschen leid. Sie werden wohl nie erfahren (im doppelten Wortsinn), woher der Mythos "Harley" rührt.
Mein Fazit: Eigentlich war die neue Harley ein Fehlkauf. Sollte ich noch einmal auf den Gedanken kommen, mir eine weitere Harley zuzulegen, muss ich meinem Prinzip, nur fabrikneue Maschinen zu kaufen, untreu werden und mich am Gebrauchtmarkt (bis 2017) umschauen.
Trotzdem behalte ich die neue Slim, als hoffentlich zuverlässiges "Brot-und-Butter-Bike" für den täglichen Bedarf. Wenn es aber mal so richtig Spass machen soll, dann greife ich zu Evo oder TwinCam.
Amen ( und Tschuldigung für mein langatmiges Gesülze)!