Wieder begonnen (mit 40 Jahren) habe ich mit einer Yamaha Virago XV535. Damals hatte ich nach meiner Einschätzung die notwendige Reife erlangt, um mich auf ein Motorrad zu setzen und wollte einfach ein "(Wieder)Einsteigermoped" haben, Marke egal. Hat mir viel Spaß gemacht und war für meine Zwecke ein passendes Fahrzeug. Nachdem meine Frau dann den Führerschein gemacht hatte, bekam sie von mir die Virago und ich überlegte, was ich stattdessen gerne fahren würde (die Kleine war mir mittlerweile dann auch ein wenig zu schwach auf der Brust). Nach kurzem Grüblen kam ich dann drauf: mönsch, Ducati, die mit dem tollen Gitterrohrrahmen und der Schepperkupplung - ja, die soll's sein! Ich hatte damals keine Ahnung von V2 versus 4-Zylinder, Desmodromik, Leistungsentfaltung und worauf es sonst noch so ankommt. Jedenfalls bin ich die kleine Monster 620 i.e. probegefahren und war hin und weg: zur Virago natürlich ein Unterschied wie Tag und Nacht, allein schon wegen der Handlichkeit und der Agilität (die Virago ist ja durch den niedrigen Schwerpunkt nicht so kurvenfreudig), vor allem aber wegen der Leistungsentfaltung. Wenn nominell auch nur 17 PS Mehrleistung zu Buche standen, so war doch der Schub, mit dem die Fuhre voranging, für mich schlichtweg atemberaubend. So eine druckvolle Beschleunigung von unten raus, dazu der einzigartige bollernde Ducati-Sound aus den montierten BOS-Tüten (dafür leider keine Rasselkupplung) - einfach phantastisch.
Nachdem meine Frau eineinhalb Saisonen mit der Virago durch die Gegend gekurvt ist und viel an Fahrerfahrung gesammelt hatte, meinte sie, dass sie gerne eine Harley haben möchte. Gesagt, getan, es wurde eine Sportster 1200 Custom. Die Probefahrt und auch den größten Teil der Heimfahrt durfte/musste ich erledigen und da kam ich erstmals mit einer Harley in Berührung. Natürlich kannte ich den Namen und den "Mythos" auch vorher schon, aber die Motorräder dieser Marke waren für mich immer irgendwie in unerreichbarer Ferne, zudem sah ich mich nicht in dem Personenkreis, der Harley fährt (wie das halt so ist mit einer gewissen Voreingenommenheit: riesige dicke Reisedampfer bzw. MC-Maschinen). Da ich aber nun einmal das Feeling erfahren hatte, fing es an, in mir zu arbeiten: zwar völlig anders als die Virago, geschweige denn die Ducati, schwer, schwerfällig, einfache Technik - aber auf ihre Weise auch absolut faszinierend. Viel Hubraum, Kraft ohne Ende, Bollersound, der für Gänsehaut sorgt (Supertrapp), souverän, wie man über die Straße gleitet, "Schwerarbeit", wenn man die Kiste in die Kurve drückt - noch echtes Motorradfahren. Lange Rede, kurzer Sinn: will auch haben. Nach diversen Probefahrten beim Harley-Truck, während der mich die Maschinen vom ersten Moment an in diese andere, entschleunigte Welt entrückten, war die Entscheidung bald gefallen: es wurde eine Wide Glide. Und dieses Feeling stellt sich auch heute noch bei jeder Fahrt ein: aufsitzen, Motor starten und ich bin in einer anderen Welt. Da eilt nichts mehr, da kann mich nichts aufregen, wir gleiten über den Asphalt und genießen jeden Meter.
Unabhängig davon ging es auch beim Thema Ducati weiter: das Bessere ist der Feind des Guten und so musste die kleine Monster der größeren S2R 1000 weichen. Anfangs war ich der Meinung, dass niemand mehr Motorrad/Leistung als die kleine Monster braucht. Nachdem ist die S2R gefahren hatte, wurde mir klar, warum es heißt, dass Leistung nie genug sein kann. Diese Maschine mit ihren 87 bzw. 95 PS schiebt so gnadenlos an (auch mit Sozia), dass ich mich kräftig am Lenker festhalten muss, um nicht nach hinten wegzurutschen. Die drückt ohne Ende, jeder Überholvorgang, jedes aus-der-Kurve-rausbeschleunigen wird zum Erlebnis. Kurvenräubern bis zum abwinken (wobei mein Angststreifen noch deutlich vorhanden ist, da ginge schon noch mehr), das Ganze garniert mit dem unverwechselbaren Ducati-Sound aus Spark-Tüten und der Rasselkupplung (eines der letzten Modelle mit Trockenkupplung), das an der Ampel immer wieder für ungläubige bzw. mitleidsvolle Blicke und Bemerkungen wie: "Hört sich aber nicht gut an!" sorgt.
Zu guter Letzt sollte es vor 3 Jahren dann doch auch noch ein Superbike sein (meine Frau meinte: mit 60 brauchst Dich nicht mehr auf so ein Ding zu setzen) und so kam eine 899 Panigale ins Haus. Nochmal eine völlig andere Liga, zwar keine Trockenkupplung, dafür ein Höllenlärm aus der underengine-Anlage (Standgeräusch 108 dB!), kurvengierig ohne Ende (die legt sich förmlich von selber in die Kurve), Leistung satt, allerdings erst ab etwa 7-8000 U/min aufwärts - dann aber umso vehementer (146 PS) und anfangs wirklich respekteinflößend.
Was will ich mit meinen langen Ausführungen sagen: für mich habe ich das Beste aus zwei Welten realisieren können. Die Faszination der roten Renner aus Borgo Panigale, die Emotionen transportieren wie (für mich) kein anderes Motorrad. Und die Souveränität der "Eisenhaufen" aus Milwaukee, die mich mit ihrer Kraft, mit ihrer Präsenz, mit ihrem Alleinstellungsmerkmal "Harley" immer wieder in eine andere Welt befördern, alles vergessen lassen, mich Abstand gewinnen lassen vom Alltag und der Hetze, der wir alltäglich ausgesetzt sind.
So wenig ich mir zu Anfang Gedanken über meinen fahrbaren Untersatz gemacht habe, denke ich jetzt immer wieder mal darüber nach, ob und wenn ja, welche Alternativen es für mich gäbe. Sicherlich gibt es technisch bessere Maschinen (nicht umsonst fahren z.B. soviele GS durch die Gegend oder auch KTM), aber es gibt derzeit nichts, wofür ich mich so recht erwärmen könnte.
@Bomber22: eine Probefahrt mit einer Monster (leider gibt's bis auf die 797 jetzt nur noch wassergekühlte Vierventiler) kann ich Dir empfehlen. Allerdings solltest Du Dir im Klaren sein, dass sich bisher noch bei fast jedem dieses will-haben-Gefühl eingestellt hat und dass das Grinsen im Gesicht längere Zeit bestehen bleibt!
Bollergrüße
Wolfgang