Lieber Roadrunner, vielen Dank für den Beitrag. Der hat mich angespornt, in unserer "Bibliothek" die Werkstandhandbuchzeichnung des letzten 4- Gang-Sportygetriebes bis 89 rauszusuchen und die Funktion daran für Euch noch besser verständlich noch einmal durchzugehen. Die Funktionen bin ich weiter vorne anhand von Roadrunners Fotos schonmal durchgegangen, aber ich denke, anhand der Zeichnungen wird es noch einmal vieeeel klarer:
Ich gehe die Funktionen anhand von Foto 1 durch und referenziere bei einzelnen Bauteilen auf die anderen 4 Fotos, in denen sie nochmal perspektivisch dargestellt sind.
Unterschied vom 4. Gang zu Gängen 1 - 3: Durchschaltung statt Drehrichtungsumkehr
In Bild 5 in Foto 1 sieht man in rosa die Durchschaltung von der Kupplung bis zum Sekundärritzel auf der HAUPTWELLE, von der Roadrunner oben geschrieben hat. Der "4." Gang bemüht hier also gar keine Zahnräder, sondern wird einfach durch diese direkt Verbindung als 1:1 - Übersetzung dargestellt. Dabei unter die "Sekundärübersetzung" für die Gänge 1 - 3 in allen 5 Bildern eine 4 für "4.Gang" zu schreiben, kann man schon als bewußte Irreführung eines Laien seitens Harley beschreiben. Da eben gerade gar keine Zahnräder (eben gerade auch nicht die fälschlich mit "4" bezeichneten) involviert sind, entfällt die Reibung zwischen den Zahnflanken, die pro Zahnradpaar etwa 2% Reibungsverluste erzeugt. Ein Grund, (neben der Langhubigkeit), warum Harleys generell so wenig Sprit verbrauchen. In den Bildern 1, 2 und 4 sieht man, daß bei den Gängen 1, 2 und 3 jeweils 2 Zahnradpaare nacheinandergeschaltet sind. damit ergibt sich in ALLEN 4 (!!!) Gängen KEINE Drehrichtungsumkehr, wie Roadrunner oben schreibt. Dies ist erforderlich, weil ja auch die Primärkette keine Drehrichtungsumkehr erzeugt. Damit das Hinterrad nicht rückwärts dreht, darf es in keinem der 4 Gänge eine Drehrichtungsumkehr geben. Ganz anders ist das beim DKW-Big-Block-Getriebe der 30er, was wir weiter vorne hatten. Hier muss es wegen Drehrichtungsumkehr im Zahnradprimär eine gegensinnige Drehrichtungsumkehr in ALLEN Gängen geben, damit das Hinterrad nicht rückwärts dreht. Deswegen haben ALLE nach diesem Vorbild kopierten Japangetriebe (es gibt keine anderen) nur ein Zahnradpaar pro Gang und außerdem auch eins für den 5. Gang, d.h. auch in diesem Gang Reibungsverluste.
Schalten der Gänge: Schaltmuffen mit integrierten Schiebezahnrädern als zwei GETRENNTE Funktionen
Die tiefrot gezeichneten Schaltmuffen verbinden die lose auf HAUPTWELLE und VORGELEGEWELLE gelagerten Zahnräder durch seitliches Verschieben fest mit der Welle und schalten so den Gang, indem die seitlichen Schaltklauen an der Flanke der Schiebemuffe in die die seitlichen Schaltklauen an der Flanke des lose auf der Welle rotierenden benachbarten Zahnrades eingeschoben werden. Das auf der gegenüberliegenden Welle liegende Gegenrad ist entweder als Festrad auf die Welle geschnitten oder auf der Welle als Schiebemuffe für ANDERE (!) Gänge seitlich verschiebbar geführt, indem auf die Welle eine wellenparallele Verzahnung geschnitten ist (in Foto 4 auf Hauptwelle (2) und Vorgelegewelle (17) gut zu erkennen), auf der sich die hohle Schiebemuffe mit ihrer korrespondierenden Innenverzahnung zwar verschieben, aber nicht verdrehen lässt, damit entweder die Schiebemuffe von ihrem geschalteten benachbarten Losrad oder abwechselnd das auf die Schiebemuffe geschnittene "Festrad" Drehmoment auf die Welle übertragen können. Das ist durch die reine Geradverzahnung wie in Foto 1 möglich. Die Zahnradfunktion hat mit der seitlich verschiebbaren Muffenfunktion absolut überhaupt nichts zu tun, obwohl Muffe mit seitlichen Schaltklauen und Zahnrad ein gemeinsames Bauteil bilden. Diesen technischen Kunstgriff wendet man NUR aus Gründen der axialen Platzersparnis an = das Getriebe wird in axialer Richtung deutlich kürzer. Großer Nachteil: Die Masse der Schiebemuffe wird durch das Zahnrad deutlich erhöht, was die Schaltpräzision bei solch klassischen Motorradgetrieben ebenso deutlich reduziert. Bei schrägverzahnten Getrieben wie dem BT-6-Gang oder dem Sportygetriebe ab Baujahr 07 geht das natürlich nicht, hier muß man aufwendig zur separaten Schiebemuffe wie im Auto zurückkehren. Damit sind alle Gegenräder der Losräder direkt auf die Welle geschnittene Festräder, was das Lastwechselrucken durch den Entfall des Spiels zwischen der Innenverzahnung des Schieberades (wegen der zusätzlichen separaten Schiebemuffenfunktion) und der wellenparallelen Verzahnung deutlich reduziert. Der große Vorteil ist die geradezu dramatisch verbesserte Schaltbarkeit durch die mangels seitlichem Schiebezahnrad um mehr als 50% reduzierte träge Masse der Schiebemuffe.
Schalten der 3 unteren Gänge: durch seitliches Verschieben der 2 roten Schiebemuffen ("Hin und her")
Zum besseren Verständnis nenne ich nach der Lage im Bild die Vorgelegewelle jetzt "unten", die Hauptwelle "oben". Die Bauteile, über die das Eingangsdrehmoment der Kupplung zum Sekundärritzel fließt, sind in allen 5 Bildern rosa eingefärbt. Das bedeuted:
Zahnradpaar 1 ALLER 3 Gänge: eigentlich die Sekundärübersetzung. Bitte lasst Euch nicht von der falschen Kennzeichnung mit "4" für "4.Gang" irritieren, dieses Zahnradpaar hat nix, aber auch wirklich garnix mit dem 4. Gang zu tun, bis auf die seitlichen Schaltklauen am direkt auf die Hohlwelle geschnittenen Ritzel. Die Kette zum Hinterrad wäre dann eigentlich die "Tertiärübersetzung"
Das erste der im Drehmomentfluss vom Motor zum Hinterrad nacheinandergeschalteten beiden Zahnradpaare der Gänge 1, 2 und 3 ist für alle 3 Gänge GEMEINSAM das ganz LINKE Zahnradpaar in allen 5 Bildern. Daher muß das Antriebsrad dieses Zahnradpaares oben auf einer eigenen hier FALSCH "mainshaft" statt korrekt wie in Fotos 4,5,6 "clutch gear" genannten HOHLWELLE lose auf der Hauptwelle oben rechts rotieren, sonst wäre ja ständig der 4. Gang eingelegt. Das Laien zutiefst Verwirrende an diesem Foto 1 ist, daß die Hauptwelle KEINEN Namen statt korrekt "Main shaft" in Foto 6 bekommen hat (auch das wieder typischer liederlicher Harley-Dummfug
), so dass der Laie fälschlich denkt, Hohlwelle und Hauptwelle wären eins, und so die Funktion des Getriebes nicht verstehen kann
. Das dem NICHT so ist, seht Ihr an Foto 4: Hier seht ihr, das die Hohlwelle (10) auf der Hauptwelle (2) auf den Nadellagern (23) und (24) rotiert. Die Hohlwelle trägt in Foto 1 und 3 am linken, in Foto 5 und 4 auf der wellenparallelen Verzahnung am vorderen Ende die Kupplungsnabe, und auf einem Lager den Kupplungskorb, an dessen Rückwand auch das Primärkettenrad befestigt ist. Die Vorgelegewelle ist in Foto 4 natürlich (17). Dafür ist in Foto 6 wiederum die Bezeichnung " 4th gear " FALSCH, weil dieses Zahnradpaar, wie eben schon gesagt, die gemeinsame Vorübersetzung der Gänge 1,2,3 ist
Zahnradpaar 2:
Zurück zu Foto 1 zum zweiten Zahnradpaar der Gänge 1-3, mit dem sie jeweils ALLE geschaltet werden. Die kleinen schwarzen Pfeile zeigen jeweils den Übertritt des Drehmomentes von einem Bauteil auf das nächste.
Bild 1: Für Gang 1 ist die Schiebemuffe zur Schaltung des Losrades unten, also das Festrad oben
Bild 2: Für Gang 2 ist die gleiche (!) Schiebemuffe zur Schaltung des Losrades unten, die Funktion des Festrades oben übernimmt die Schieberad mit Schiebemuffe für den 3. und 4. Gang
Bild 4: die eben genannte Schiebemuffe oben schaltet das Losrad des 3. Ganges, das Gegenrad unten ist die Schieberad mit Schaltmuffe für den 1. und 2. Gang. Das 3.-Gangrad oben muß ein Losrad sein, damit sein Gegenrad unten überhaupt als Schiebemuffe die Gänge 1 und 2 ohne Blockieren des Getriebes schalten kann.
Bild 5: der 4. Gang wird duch die Verbindung der Hauptwelle rechts mit der Hohlwelle links über die obere Schiebemuffe geschaltet. Das Getriebe blockiert auch hier nicht, weil bei JEDEM der Gänge 1, 2 und 3 eines der beiden Zahnräder ein lose auf seiner Welle rotierendes Zahnrad ist.
Beim Schalten immer durch den Leerlauf: gewollte Sicherheitslücke
Damit wird auch klar, warum ich bei jedem Gangwechsel durch den Leerlauf in Bild 3 in der Mitte des Fotos muß: Damit wird sicher verhindert, daß zwei Schiebemuffen gleichzeitig ihre Losräder mit ihrer Welle verbinden und damit das Getriebe blockiert, was trotz Ziehen der Kupplung unweigerlich zum Blockieren des Hinterrades und damit zum Sturz führen würde. Bei der Präzision moderner Getriebe kann diese Lücke über den Leerlauf so klein ausfallen, daß jüngere Fahrer auf Sporties ab 2004 das gar nicht merken. Wer, wie ich, in den 70ern, 80ern und 90ern noch 70er -Jahre - Bikes gefahren hat, kennt das Gefühl, beim sportlich-hektischen Schalten z.B. von Gang 3 zu Gang 4 plötzlich im Leerlauf zu landen. Wegen der bis in die 70er nicht kleiner machbaren großen Fertigungstoleranzen hat man hier die "Leerlauflücke" zwischen den Gängen aus Sicherheitsgründen so riesengroß gewählt, dass nur ja keine 2 Schiebemuffen gleichzeitig mit ihren Schaltklauen in ihr Losrad ragen können. Der Effekt waren ziemlich große Wege am Schalthebel, den man hochkonzentriert bis an seinen weit entfernten Anschlag ziehen mußte. Bei 4-Gang-Getriebe der Sporty von 52 bis 89 trat dieser Effekt noch ziemlich deutlich auf (eigene Erfahrung).
Trägerplatte: "Trapdoor" ermöglicht Kassettengetriebe
Die Fotos 3 , 4 (9) und 5 zeigen auch die typische Trägerplatte, in der seit 1953 (KH-Sporty) bis 2003 die Hohlwelle als Festlager und in dieser das linke Ende der Vorgelegewelle gelagert waren. Nach Abbau von Primärkettenritzel, Kupplungskorb und Primärkette konnte man so diese Platte vom Motor-Getriebeblock abschrauben, und somit das Getriebe bei eingebautem Motor nach links aus dem Block ziehen. Auf Ingenieursdeutsch nennt man so etwas "Kassettengetriebe", weil das Getriebe wie eine Kassette ins Gehäuse analog zum Bankschließfach geschoben wird. Das war bei aufwendigen Supersportlern wie der Sportster in den 60ern sehr beliebt, denn es ermöglicht die separate Anpassung jeder Gangübersetzung 1, 2 oder 3 an jede Rennstrecke. Bei den leider bis 89 häufig erforderlichen Getriebereparaturen war diese aufwendige Bauweise für den Privatmann zudem gegenüber Japanern ein immenser Reparaturkostenvorteil. Leider haben sie diese aufwendige Konstruktion, die Harley, wie wir weiter vorne schon hatten, von der DKW-Reichstyp 125 aus den nach WKII beschlagnahmten Konstruktionsunterlagen abgekupfert hatte, ab dem Sporty-Baujahr 2004 wegrationalisiert. Wenn die Sporties ab 2004 also einen Getriebeschaden haben, kommt das wie beim schnöden Billigjapaner einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich, weil der komplette Motor zerlegt werden muß, um die beiden, wie wir ja wissen, zu jeweils einem Block zusammengegossenen Motorgetriebehälften trennen zu können, um an das Getriebe zu kommen. Diesen wirtschaftlichen Konstruktionsvorteil des separat zu demontierenden Getriebes hat also heute nur noch der BT. Übrigens, bei BMW ist ab Wasserboxer das Getriebe gleichfalls hintem am Motorgehäuse angegossen. Um das auch noch erwähnt zu haben: im Harleyjargon heißt diese Trägerplatte "Trap door"("Fallentür", wenn man das Getriebegehäuse als Rattenfalle versteht). Zu solchen völlig unangebrachten, weil nichtssagenden
"humorigen" Bezeichnungen neigen die amerikanischen Ingenieure ja. Besser für den armen Harley-Schrauber
wäre es, wenn die Harley-Ingenieure die Funktion am Namen bereits klar erkennen lassende und damit humorlos typisch deutsche Bezeichnungen auf Englisch wählen würden. So muß der geplagte Schrauberneuling auch noch Harley´s idiotisches, weil nur Nachteile bringendes Fachchinesisch lernen, auch wenn er schon technisches Englisch beherrscht.
Foto 3 zeigt in der Trägerplatte gelagert die Hohlwelle mit der Kupplungsnabenverzahnung am linken Ende und dem direkt auf die Hohlwelle geschnittenen "Sekundärzahnrad"
mit seitlichen Schaltklauen des 4. Ganges und der (namensgebenden) Hohlbohrung für das Nadellager der Hauptwelle innerhalb des Kranzes der Schaltklauen am rechten Ende, sowie an der Trägerplatte rechtwinklig anmontiert den Schaltscheibenmechanismus aus Foto 2. Mit den Schaltklauen wird praktisch das Nadellager überbrückt und die Hauptwelle fest an die Hohlwelle angedockt.
Die Fotos 2 + 3 zeigen den Schaltmechanismus, besonders die von der DKW Reichstyp 125 kopierte gegenüber einer gefrästen Schaltwalze sehr billig aus Blech gestanzte Schaltscheibe (hatten wir schon bei Roadrunners Getriebefotos weiter vorn) mit den Schaltnuten, die bei Drehung des Schalthebels nach oben oder unten über deren Finger die Schaltgabeln mit den Schiebemuffen hin und her schieben.
Foto 2: Die Schaltklinken (10) begrenzen über die Anschläge (6) den maximalen Drehweg des Schalthebels (31) und springen bei dessen mittels der Federn (9) erzeugten Rückwärtsbewegung in die Nulllage mittels der Feder (11) gleichfalls in die Nulllage zurück. Dadurch wird die Schaltscheibe beim Hoch- oder runterschalten getaktet immer weitergedreht. Bei der DKW Reichstyp 125 sieht das im Prinzip ganz genauso aus, bis auf den unterschied, daß die nur 3 Gänge hat (hatten wir schon).
Auf das von mir in einem anderen Thread erklärte Thema "Zwischengas" möchte ich hier nicht nochmal eingehen, wen es interessiert, bemühe bitte die Sufu.
Foto 6: Nachträglich der Vollständigkeit halber sei ein anderes Bild aus dem werkstatthandbuch ergänzt: Hier hat die Eingangshohlwelle (10) plötzlich doch den korrekten Namen, nämlich "clutch gear" statt "Main shaft" und die Hauptwelle (2) bekommt dafür jetzt plötzlich doch den korrekten Namen "Main shaft". Lediglich die Vorgelegewelle (17) heißt weiterhin korrekt "countershaft". Dafür ist in Foto 6 wiederum die Bezeichnung " 4th gear " FALSCH, weil dieses Zahnradpaar, wie oben nachträglich ergänzt, die gemeinsame Vorübersetzung der Gänge 1,2,3 ist
Die Amis nehmen es halt auch in ihren Dokumentationen nicht so genau mit der Stringenz und korrekten Benennung ...