IJmuiden und der Süden



Los ging's in der Früh um halb Sieben. Die fast 700 km bis zum Fährhafen Amsterdam auf deutschen und holländischen Autobahnen waren bei moderatem Wetter problemlos bis 17:00 Uhr zu schaffen. Fähre mit Einzelkabine war natürlich rechtzeitig gebucht. In Amsterdam waren die Harley Days grade an diesem Sonntag zu Ende gegangen, und so traf ich im Hafen auf eine Gruppe schottischer Biker, was den Harley-Anteil und die Lautstärke beim Einschiffen signifikant erhöhte. Ansonsten war natürlich alles voller BMWs. Die Nacht in meiner Kabine bescherte mir nach der langen Autobahnfahrt einen wunderbaren Schlaf - ich liebe das Gestampfe und Vibrieren der Schiffsmotoren. Nach einem reichhaltigen Frühstücksbuffet ging's dann endlich rein in den Linksverkehr!

Die Umstellung auf "immer-schön-auf-der-verkehrten-Seite-fahren" fiel leichter als mit dem Auto, fand ich. Die erste Etappe von Newcastle bis an die Westküste ist landschaftlich und fahrerisch eher langweilig, aber gut zum Eingewöhnen. Im Südwesten ist alles recht dicht besiedelt, viel Industrie. Der Tourismus beschränkt sich auf einige Seebäder, und prompt fand ich deshalb schon am ersten Abend keinen Campingplatz. Also runter von der Hauptstraße Richtung Strand und noch vor Sonnenuntergang in Largs ein sympathisches kleines Hotel gefunden.

Islay - Home of Great Single Malts

Der Vogelforscher gab mir den Tipp für den besseren der beiden Campingplätze, also ändere ich meinen Plan und steuere Port Mór an. Eine Kombination aus Camping- und örtlichem Fußballplatz mit angegliedertem Sportheim. Kein Bier, aber Full Scottish Breakfast und leckere Burger. Bier gibt's reichlich im Pub, einen knappen Kilometer zu Fuß. Ich lasse mich nun erstmal zeltlich nieder und freue mich darauf, meine Lieblings-Distilleries leibhaftig kennen zu lernen.

Das Wetter ist klasse geworden, die Sonne scheint und wärmt. Nachts ist es allerdings empfindlich kalt, und ich bin froh über meine Wollunterwäsche. Der alte Schlafsack muss demnächst ersetzt werden.

Am nächsten Tag fahre ich rüber nach Port Ellen - auf dem geradesten Stück Straße, auf dem ich jemals gefahren bin, knapp zwei Spuren breit und mit dem schlechtest-vorstellbarem Straßenbelag überhaupt. Man sollte eine Schottlandreise nicht mit alten Reifen antreten! Ziel ist die Laphroiag Distillery - meinem Lieblingswhisky gebührt die Ehre des ersten Besuchs. Ich hab ja schon viele Bilder und Filme gesehen über die Herstellung von Single Malt, aber der erste Besuch in einer Distillery mit seinen Gerüchen, den Temperaturen und dem Kosten des Zeugs in seinen unterschiedlichen Reifezuständen überbietet alles bis dahin Vorstellbare! Zuletzt besuche ich noch meinen Square Foot Land, den ich seit vielen Jahren als einer der frühen Friends of Laphroiag besitze und hole mir meinen Pachtzins in Form eines Nosers voll Whisky ab. Leider bin ich mit dem Moped da und muss mich bei der Verköstigung zurückhalten. Einen Fehler, den ich am nächsten Tag bei Bruichladdich nicht mehr machen werde. Schier überwältigend sind die Warehouses, in denen sich Fässer in riesigen Regalen stapeln und jahrelang den köstlichen Angel's Share ausdünsten.

Tags darauf betritt ein Paar das "Cafaidh" meines Campingplatzes. Ich denke: den Typen hast du doch schon mal gesehen… Es ist John McNiven, der Brennmeister von Laphroiag, der mit seiner Gemahlin hier einen Burger zu sich nehmen will. Ich komme mit ihnen ins Gespräch und wir labern den ganzen restlichen Nachmittag. Ich danke ihm für seine Existenz und preise seinen Beruf als den wohl schönsten auf diesem Planeten. Und er meint: Jawoll, seine ganze Erfüllung liege darin, dass er auserkoren sei, diesen Job für Typen wie mich zu machen. Mache auch nix, dass er noch nie wirklich von Islay weggekommen wäre und keine Vorstellung vom Nordwesten Schottlands habe, wo ich hinwolle. Wir schreiben uns heut noch ab und zu eine Mail …

The Applecross Trail




Von der Reise mit den Kindern 1997 war mir der Applecross Trail noch in traumhafter Erinnerung. Auf dieser Etappe sollte ich ihn mit meiner Harley fahren! Es gibt Träume, die gehen in Erfüllung, Leute! Fahrerisch ist das nicht so wild, wie's auf dem Schild angesagt wird - jedenfalls nicht in Juni. Wenn's zu dick kommt, ist der Trail dann eh gesperrt. Ich hab die GoPro angeschmissen und bin los. Leider fehlt mir mit der noch die Erfahrung, der Film ist so lala geworden - ich hab ihn aber noch immer nicht geschnitten… Die Gegend ist wie eine Mondlandschaft mit Schafen - für mich ein Traum! Aber man fährt bitteschön ganz betulich und langsam, hinter jeder Kurve kann einem irgendwas entgegen kommen. Man muss dann nur auf die falsche Seite ausweichen, aber daran habe ich mich ja mittlerweile gewöhnt. Tatsächlich blockiert mitten auf dem Trail ein Sprinter mit Warnblinklicht die Fahrbahn, Ein Typ mit Militärkäppi kommt mit einer Sammelbüchse auf mich zu und leiert mir tatsächlich fünf Pfund für die Helden der Britischen Armee raus. Der Sprinter lässt mich passieren - war das jetzt eigentlich Wegelagerei? - und vor ihm kommt ein Trupp militärisch geschmückter Schottenrockträger mit einem Leiterwagen zum Vorschein, auf dem eine Schaufensterpuppe in voller Kampfmontur befestigt ist. Sie winken mir zu und ich ihnen und lach mich schlapp, dass ich fast vom Bock falle. Guggsdu hier: Bealach-na-Ba

In Applecross gibt's dann lecker Kaffee und Apfelkuchen und ein nettes Pläuschchen mit zwei Schotten auf einer BMW und einer Triumph, die eine kleine Tagestour fahren. Der Gast schnappt sich hier ein Fähnchen mit seiner Landesfahne aus einer Tonne, stellt sich damit an die Theke, bestellt sein Zeugs und kriegt es dann gebracht. "Coffee and apple pie for Germany!" Weiter geht's an der schwarzen Silhouette der Isle of Skye entlang, durch traumhafte Landschaften Richtung Gairloch.

Der Nordwesten





In Gairloch suchte ich mir erstmal eine Schlafstätte, die ich bei zwei verdrehten Mädels in der Mountain Coffee Company fand. Warum auch immer, die hatten sich einen Buchladen mit Café und Gästezimmern eingerichtet, der voll und ganz auf Trekking und Bergsteigen in den USA spezialisiert war Zu essen gab's da nix, aber nebenan war ein Hotel mit ausgezeichneten Fish & Chips, von dem man in Britannien eh nie genug kriegen kann. Nach einer Nacht in einem total verplüschtem Zimmer und ohne Full Scottish Breakfast (das einen i. d. R. den ganzen Tag ernährt) ging's endlich los Richtung nordwestlichstem Punkt meiner Reise.

Spätestens nach Ullapool sind die Straßen wirklich nur noch einspurig - und die Landschaft ist natürlich ein Traum. Gegenverkehr wird seltener, die Tankstellen auch. Ich freute mich auf Durness, wo ich 97 schon ein paar Tage mit den Kindern war. Hier wollte ich ein paar Nächte bleiben, das Motorrad stehen lassen und ein wenig Wandern gehen. Der Campingplatz hatte sich wirklich so gut wie gar nicht verändert seit unserem Besuch, ein ausgezeichneter Platz für mein Zelt war schnell gefunden. Fünf Minuten zu Fuß gibt's ein Pub, das einen nährt und den Durst stillt - und alle Fußballspiele überträgt. So folgten vier wunderbare Tage mit Wanderungen am Meer entlang zu den Dünen oder quer über die Berge zum nächsten Loch. Lesen, essen, trinken, Möwen füttern, die Smoo Cave erkunden, chillen - und das Wetter war auch gnädig. Irgendwann schlug ein Südtiroler Kollege mit seiner GS neben mir auf. Er hatte sich den Reifen bis auf's Gewebe runter gefahren und musste warten, bis aus Inverness Ersatz kam. Er sorgte gewissenhaft für etliche gemeinsame Bierchen und Gespräche. Einen Berliner und seine Frau lernte ich da auch kennen, die waren mit Wohnmobil und Hänger, in dem eine Triumph Rocket III wohnte, seit Anfang März in Schottland unterwegs. Sie hatten ihre Mietwohnung in Berlin aufgegeben und wollten überhaupt nie wieder nach Deutschland zurück.
Schöne Tage in Durness - ich hätte mal noch ein paar dranhängen sollen...

Edinbourgh

Es regnet ohne Ende. Die Rukka hält noch dicht, aber dort wo sie aufhört, kommt's nass rein. Die Goretex-Handschuhe von Held haben nach 2 Tagen aufgegeben. Die Temperaturen liegen bei 10 Grad. Ich will so schnell wie möglich nach Edinburgh und mir da ein Zimmer nehmen. Ich nehme also breite, schnelle Straßen und sehe zu, dass ich voran komme. Die Fahrt über die Fort Road Bridge ist trotz des Mistwetters ein Erlebnis. Mein Plan ist, den Freundlichen in Edinburgh anzusteuern, dort einen schönen, heißen Kaffee zu kriegen und mir einen Tipp für ein Zimmer abzuholen. Nach einigem Gekurve im nicht aufhören wollenden Regen finde ich die Niederlassung. Mittlerweile ist es auch in der Rukka nass geworden und ich stehe wie ein begossener Pudel im Verkaufsraum. Das interessiert dort keinen. Ich frage nach einem Kaffee und kriege freundlicherweise den Weg zum Automaten gezeigt, wo ich mir für weniger als ein Pfund einen ziehen darf. Das T-Shirt hätte ich eigentlich klauen sollen als Vergeltung für die Unfreundlichkeit dort. Ich bedränge die Dame an der Kasse so lange, bis sie mir eine schlechte Wegbeschreibung in's Bed&Breakfast-Viertel gibt. Ich finde eine Straße, in der sich ein B&B ans andere reiht und beschließe, dass ich nach den Widrigkeiten der letzten Tage eins mit mindestens vier Sternen haben will. Krieg ich auch. Und ab da wird alles wieder gut. Das Motorrad wird schön weggesperrt, das Zimmer ist fein - und das Frühstück schlägt alles bisher dagewesene um Längen: The Glenalmond House, Mayfield Gardens - nicht billig, aber sehr, sehr angenehm. Gleich um's Eck liegt das Old Bell Inn - da kann man unter Freunden Fussball-EM gucken. Deutschland ist deren Lieblingsmannschaft, und um dem Ausdruck und Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird deutsches Bier ausgeschenkt. Paulaner, Schneider Weisse - ich bleib' da definitiv bei Stuart's Ale.

Die nächsten beiden Tage sehe ich mir Edinburgh an und genieße es - muss hier aber nicht ausführlich beschrieben und bebildert werden. Hat ja auch nix mit Moppedfahren zu tun. Schließlich mache ich mich auf den Weg die Ostküste entlang, runter nach Newcastle. Es geht durch Vorgarten-Landschaften und an endlosen Golfplätzen vorbei. Parks, Manners, Tweed-Factory-Outlets.

Irgendwann reihe ich mich zwischen die BMWs am Fährhafen ein. So traurig das ist, jetzt wieder auf dem Heimweg zu sein, die spezielle Magie von Schottland ist noch voll am wirken. In der Schlange neben mir steht ein holländischer BMW-Fahrer. Ich schnorre Zigarettenpapier von ihm und wir kommen ins Gespräch. Beide sind wir ein wenig sentimental druff - jetzt, wo grad ein so geiler Trip sich seinem Ende nähert. Wir erzählen uns unsere Geschichten und ich stelle fest, sein Leben ist meinem sehr ähnlich gelaufen, und auch er nimmt sich vor, ab jetzt jedes Jahr so einen Motorradtrip anzugehen. Ich empfehle ihm, beim nächsten Mal nicht alle Unterkünfte im Vorfeld fest zu buchen Ich hoffe, es nützt was bei ihm - ist halt doch ein BMW-Fahrer.

Hi El Perro,
Was für ein klasse Bericht. Ich wollte eigentlich gerade schlafen gehen, aber Dein Report hat mich wachgehalten. Schön geschrieben, 1A Bilder und eine schöne Reise natürlich obendrein.

Macht Lust aufs Reisen
Danke und Gruß
Uli

Danke auch von mir für den Bericht und die schönen Bilder .

Bin begeistert. Ein super Reisebericht und klasse Fotos.

Schöne Grüße Stefan